„Mild erkrankt“ meint keineswegs, dass die Betroffenen eine harmlose Krankheit mit wenigen Symptomen hätten und ihr Leben weitestgehend normal fortführen könnten. Auch mild erkrankte ME-Patienten leiden an einer unberechenbaren Krankheit, die sich abrupt verschlechtern kann. Auch sie haben das volle Set an Symptomen einer ME-Erkrankung, und auch wenn die Symptome nicht so massiv ausgeprägt sind wie in schweren Krankheitstadien, so sind auch die mild Erkrankten dadurch in ihrer Lebensführung eingeschränkt und müssen ihr gewohntes Leben aufgeben.
Mild Erkrankte sind nicht pflegebedürftig und können sich in aller Regel selbst versorgen und eigenständig leben. Manche schaffen es, ihren Haushalt alleine zu bewältigen, andere brauchen dabei Hilfe.
Sie sind nicht auf einen Rollstuhl angewiesen. Viele können noch selbst Auto fahren, sodass die Einschränkungen in ihrer Mobilität nicht gravierend sind.
Wie alle ME-Patienten müssen auch mild Erkrankte mit einem stark verminderten Leistungsvermögen zurechtkommen. Sie haben nur einen Bruchteil ihrer früheren Energie zu Verfügung und müssen ihre Aktivitäten an dieses verminderte Energielevel anpassen.
Einige wenige können ihrem Beruf weiter nachgehen, verbringen aber die restliche Zeit des Tages und die freien Tage ausschließlich im Bett, um sich von der übergroßen Anstrengung zu erholen. Zeit für Hobbys oder Freunde bleibt so keine mehr. Manche können halbtags oder stundenweise arbeiten, andere müssen ihren Beruf ganz aufgeben. Vielleicht finden sie eine Möglichkeit, einer anderen, weniger anstrengenden Tätigkeit von zuhause aus nachzugehen, vielleicht sind sie aber auch, wie die schwerer Betroffenen, gänzlich arbeitsunfähig und müssen Frührente oder Sozialhilfe beantragen.
Erkrankte Kinder mit einer milden Form von ME können die Schule stundenweise besuchen. Einen vollen Schultag durchzustehen – und das an fünf Tagen pro Woche – ist für sie zu kräftezehrend und sollte auch nicht fokussiert werden, um eine Verschlechterung der Krankheit zu vermeiden.
Sport ist für alle ME-Patienten nicht mehr möglich, da durch Bewegung Zytokine ausgeschüttet werden und einen Krankheitsschub auslösen. Inwieweit andere Hobbys von mild Erkrankten noch ausgeübt werden können, hängt vom individuellen Zustand ab und ist auch tagesformabhängig.
Symptome wie Schlafstörungen, Schmerzen und grippeähnliche Beschwerden sind oft auch bei mild Erkrankten stark ausgeprägt und führen zu einer großen Minderung der Lebensqualität.
Gerade die weniger schlimm Erkrankten haben oft stärkere Schwankungen in der Intensität der Symptome als es bei den Schwererkrankten, bei denen die Symptome konstant stark ausgeprägt sind, der Fall ist. Das führt zu einem stark schwankenden Leistungsniveau. So kann ein mild Erkrankter an einem Tag zum Beispiel eine mehrstündige Zugfahrt oder einen Tagesausflug bewältigen – die Zustandsverschlechterung nach Belastung (PENE) zwingt ihn dann jedoch in den folgenden Tagen zu weitestgehender Bettruhe.
Für Außenstehende kann es schwierig sein, das Leistungsniveau eines Erkrankten richtig einzuschätzen, zumal die mild Erkrankten kein äußeres sichtbares Zeichen ihrer Behinderung wie zum Beispiel einen Rollstuhl haben und die Leistungsfähigkeit von Tag zu Tag so stark schwanken kann. Vor allem die mild Erkrankten haben deswegen oft mit Unverständnis in ihrem Umfeld zu kämpfen, da sie nicht krank aussehen und leistungsfähig erscheinen. Hier kann es helfen, sich über das Hauptsymptom der ME, die Zustandsverschlechterung nach Belastung (PENE), zu informieren. Die PENE führt dazu, dass sich nach jeder Aktivität der Zustand des Patienten massiv verschlechtert. Dies macht deutlich, warum auch mild Erkrankte stark eingeschränkt sind: Sie können zwar eine Leistung erbringen und aktiv sein, aber nur eine sehr begrenzte Zeit, und bekommen dann einen Krankheitsschub, der sie für mehrere Stunden oder Tage massiv beeinträchtigt. Ein normales Leben ist deswegen auch für mild Erkrankte nicht möglich.